Mia-Herz vergeben, Herz verschenkt

Mia-Herz vergeben, Herz verschenkt

„Ihr braucht einen Hund“. Dieser Satz hatte gesessen.

Ausgesprochen von Stuart, dem mehrfachen Hundevater, dem guten Freund der Familie und Mitstreiter bei „Ausrangiert und Abgeschoben“. Leuchtende Kinderaugen sahen mich verliebt an, meine Frau blickte etwas ratlos. In mir regte sich sofort Widerstand. Gegen den Hund und gegen Stuart.

„Ihr wisst nicht, was das heißt“, sagte ich zu den Kindern „Ein Hund bedeutet Verantwortung, ein ständiges Kümmern und eine dauernde Einschränkung bei allen Aktivitäten.“

Mit Interesse und Spannung hatten wir die Berichte von Stuart verfolgt, wenn er von seinem Engagement bei „Ausrangiert und Abgeschoben“ erzählte.

Bewundernd und mitfühlend verfolgten wir seine Berichte, wenn er von der Übernahme, ja Befreiung sogenannter Zuchthunde erzählte. Von den langen Fahrten, um einen Hund zu holen und von dem Elend, das sich ihm dabei zeigte, von den unhaltbaren Zuständen, in denen diese Zucht betrieben wurde. Bis zu diesem Tag hielten wir die Hundezucht und den Verkauf der sogenannten Rassewelpen für ein vergleichsweise ehrliches Gewerbe. Zu rührend war der Anblick junger Welpen, den sich Freunde oder Bekannte ab und an zulegten. Und alle diese Hunde stammten – den Aussagen zufolge – aus erstklassiger Zucht. Jetzt sahen wir die Dinge mit anderen Augen, jetzt bekamen wir einen kleinen Einblick in die Machenschaften der Züchter, die Ausbeutung der Zuchthunde…Und jetzt stand dieser Satz im Raum.

Wir haben ein Haus, einen eingezäunten Garten, drei Kinder und genug Auslauf vor der Türe. Was uns fehlte, war ein Hund. Das war von Stuart natürlich eher scherzhaft gemeint, aber er war der Meinung, dass einer der Hunde bei uns gut aufgehoben wäre. Uns wurde sofort klar, dass es ihm wohl eher um das Wohl eines dieser befreiten Hunde ging. Der Hund habe bei uns genügend Platz, würde liebevolle Betreuung erfahren und würde unsere Familie auf Trab halten.

In mir regten sich ernsthafte Zweifel: Ein geknechteter, betagter Zuchthund, der womöglich unter jahrelanger Mangelernährung und schlechter Haltung litt, vielleicht verhaltensauffällig und krank. Schon sah ich mich als Dauergast beim ansässigen Tierarzt sitzen und horrende Behandlungsrechnungen begleichen.

Wir schauten auf die Website von AuA. Zur näheren Auswahl stand ein 4-jähriger Golden Retriever und eine ältere braune Labrador-Hündin. Erstklassig waren die Berichte der Pflegefamilien, bei denen die Hunde übergangsweise untergebracht waren, aufschlussreich und detailliert. Und auch die Fotos der Hunde. Was mir gleich auffiel: Der jüngere Golden Retriever sprang auf allen Fotos in die Luft. Auch war er als äußerst lebhaft und aktiv beschrieben. Für uns Hundeanfänger meinte ich, dass ein eher ruhiger Hund doch etwas besser geeignet wäre. Und so beschäftigten wir uns mit der angetagten Labi-Dame. Der ausführliche Bericht der Pflegefamilie, der den Hund als ausgeglichen, ruhig, kinderlieb und zutraulich beschrieb, weckte unser Interesse. Ich nahm das alles noch nicht so richtig ernst. Erst später erfuhr ich, dass hinter meinem Rücken die Sache bereits besiegelt, besprochen, arrangiert war. Als dann meine Frau loszog und ein Hundekissen, ein Geschirr nebst Leine kaufte, wusste ich, die Lage hatte sich zugespitzt für mich als Hundeskeptiker. Irgendwann nahm meine Frau das Auto und fuhr mit Stuart zu der Pflegefamilie, um den Hund zu übernehmen. Es war ein Samstag, ich weiß es noch genau und eine gespannte Erwartung machte sich bei meinen Kindern und – ich muss es zugeben – auch bei mir breit. Später fuhr das Auto vor und vor mir stand eine ausgewachsene Labrador-Hündin: Mia.

Nur beiläufig erwähnte meine Frau, dass der Hund mir kurzerhand ins Auto gemacht hatte, wahrscheinlich aus Aufregung. Aber der Anblick von Mia versetzte uns alle in Freude. Sie war viel größer als ich gedacht hatte und machte einen lebhaften, gesunden Eindruck, auch wenn ihr Gesäuge etwas nach unten durchhing, als Folge der zahlreichen Welpenwürfe, die sie über sich hatte ergehen lassen müssen. Der Hund war sofort zutraulich und schlich sich schlagartig in unser aller Herz. In den folgenden Tagen und Wochen besuchte uns Stuart regelmäßig, gab Tipps und Ratschläge, wie wir mit dem Hund umgehen sollten. Er besuchte uns mit seinen Hunden, damit Mia auch den Umgang mit Artgenossen üben sollte. Das war alles kein Problem. Auch die ehemalige Pflegefamilie rief an, erkundigte sich nach dem Hund und gab ihre Einschätzung über Mia.

Die Betreuung und Hilfestellung von den Leuten von AuA war wirklich toll und eine echte Hilfestellung. Später dann kam der Hinweis, wir sollten Mia doch kastrieren lassen, das wäre so üblich bei den übergebenen Zuchthündinnen. Das wollte mir nicht gleich einleuchten, denn es war für uns klar, dass Mia niemals in eine Zucht zurückkehren würde. Aber die Website von AuA gab hier erschöpfend Auskunft, dass eine Kastration der Hündinnen auch aus gesundheitlichen Gründen angesagt wäre. So vereinbarten wir einen OP-Termin bei unserem Tierarzt und ließen Mia dann kastrieren. Ich wunderte mich über mich selbst: Die Nacht nach der OP schlief ich auf dem Sofa im Wohnzimmer und hielt Nachtwache bei dem Hund. Jetzt war auch ich also restlos auf den „Hund gekommen“.

Der Hund hat sich schnell zu einem selbstbewussten, lebenslustigen Tier entwickelt. Er erfreut sich bester Gesundheit und Fitness. Der Vorteil seines Alters ist das Fehlen jeglicher Junghund-Marotten. Er ist stubenrein und unaufgeregt. Bei uns gibt es keine zerbissenen Schuhe und keine angekauten Stuhlbeine. Liegengelassenes Spielzeug muss nicht zum Puppendoktor verfrachtet werden und der laufende Staubsauger wird auch nicht angebellt. Mia läuft unangeleint durch Felder und Wald und kommt, wenn man sie ruft. Ihr Jagdtrieb hält sich in Grenzen und erschöpft sich nach wenigen Metern im Sprint. Daneben ist sie ein liebevolles, dankbares Tier. Ausgeglichen und freundlich. Zu schön ist ihre Freude an jedem Morgen, wenn sie uns begrüßt oder wenn wir nach Hause zurückkehren. Geduldig lässt sie die Streichelattacken der Kinder über sich ergehen und sucht ständig unsere Nähe, wenn wir uns im Hause verteilt haben. Vor allem meine Frau begleitet sie auf Schritt und Tritt, sogar bis zur Toilette und wartet jeden Morgen geduldig neben ihr, wenn sie sich schminkt. Meine Frau ist mit dem Einzug von Mia vollkommen hundeverrückt, sie hat sogar einen „Hundeführerschein“ gemacht und führt sie ausgiebig aus bei jedem Wind und Wetter. Dabei hatte sie vorher nie einen Hund besessen. Unser 16-jähriger Sohn nimmt sie manchmal nachts heimlich mit nach oben in sein Zimmer, damit sie bei ihm auf dem Teppich schlafen kann. Ein schlafender Hund im Zimmer beruhigt offenbar selbst ansonsten rebellische Pubertierende. Und er hält tatsächlich unsere Familie auf Trab. Jeden Morgen vor der Arbeit gehe ich mit ihr in den nahegelegenen Wald. So kann ich den Kopf frei kriegen und meinen Gedanken freien Lauf lassen. Und wenn ich so vor mich hin gehe und ganz gefangen bin in meinem Gedanken, erreichen wir eine kleine Holzbrücke im Wald, bei der wir eine scharfe Rechtskurve nehmen müssen und dann fällt es mir wieder ein: Wo ist der Hund? Und ich sehe mich um und Mia trabt hinter mir, blickt mich an, als wollte sie sagen: Wir müssen rechts herum, weißt du es nicht mehr? Und jedes Mal muss ich lächeln. Und so gehen wir zwei wie ein altes Ehepaar unseren Weg durch den Wald und dann weiter über den Markplatz unseres Dorfes. Die Erwachsenen, die uns begegnen, grüßen mich jeden Morgen. Die Kinder im Dorf aber grüßen immer nur Mia und rufen sie beim Namen, als wäre ich gar nicht da oder bestenfalls nur Beiwerk…

Heute können wir uns alle wohl ein Leben ohne Hund gar nicht mehr vorstellen. Suchte ich früher im Internet nach Ferienhäusern mit Platz für eine fünfköpfige Familie, so google ich heute „Ferienhäuser für fünf Personen und Hund gesucht“

Stuart hatte Recht: Wir brauchten einen Hund. Und dieser Hund brauchte uns.