Hollys Sternen Augen
Es sind die Augen. Die wunderschönen Augen unserer Holly, die sich in der Zeit die wir inzwischen mit ihr verbringen durften, auf wundersame Art und Weise verändert haben.
Holly, unsere Dackeldame, hat ganz dunkle, runde Augen. Anfangs waren sie fast schwarz – inzwischen glitzern sie in einem ganz, ganz dunklen braun – und von innen heraus strahlen und glitzern sie. Sternen-Augen halt.
Holly, eine ausrangierte Vermehrerhündin, die viel Leid durchgemacht hat, kam im Juli 2010 zu uns. Wir waren eher zufällig über das Internet auf sie gestoßen – und so erbarmungswürdig, ausgezehrt und psychisch am Ende sie auf den ersten Bildern auch wirkte: es war von Anfang an ihr Blick, der uns tief im Herzen getroffen hatte.
Wir lasen ihr Tagebuch, das auf der Seite von AuA geführt wurde und entschlossen uns eigentlich ganz spontan, Holly zu adoptieren – wenn sie noch nicht vermittelt war.
Das war sie glücklicherweise nicht – und so durften wir Holly zu uns und unserem Dackelrüden Nemo holen.
Die erste Zeit war sehr schwierig und wir müssen im Nachhinein schon zugeben, dass wir relativ naiv an die Sache herangegangen sind. Dackel sind ohnehin keine einfachen Anfängerhunde, sie haben einen sehr starken Willen, einen regelrechten Dickkopf. Holly war ein vollkommen gebrochener Dackel. Sie misstraute jedem Menschen. Hatte panische Angst davor angefasst zu werden, erduldete es – wie sie schon so vieles erduldet hatte in ihrem vierjährigen Leben. Ihre Augen waren dann dunkel und voller Angst. Die ersten Tage verkroch sie sich unter der Treppe, versteckte sich im Garten unter einer Tanne, lief draußen als sei sie auf der Flucht. Und irgendwie war sie das zu dieser Zeit auch.
Holly war nicht stubenrein. Es war nervenaufreibend, denn teilweise hatten wir den Eindruck, sie versteht gar nicht, was wir von ihr eigentlich wollen.
Später haben wir gelernt, dass es vielfach pure Aufregung war. Wenn sie irgendetwas aus der Ruhe brachte (und das waren damals noch sehr viele Dinge) dann machte sie schlicht irgendwo hin. Darüber hinaus hatte Holly ja nicht gelernt, dass die Wohnung für das Geschäft tabu ist. Wir führten ganz strikte Spaziergehzeiten ein und versuchten uns peinlich genau daran zu halten. Es half sehr. Das Einhalten fester Zeiten gab ihr Sicherheit.
Wir stellten bald fest, dass es Holly sehr viel Sicherheit gab, wenn der Alltag strukturiert war. Je mehr sich die Tage und Abläufe ähnelten, umso ruhiger wurde sie. Trotzdem war sie uns Menschen gegenüber immer noch sehr skeptisch. Das Band des Vertrauens war sehr dünn. Es bedurfte sehr viel Einfühlungsvermögen um es immer weiter zu stärken. Anfangs sind wir sogar zum Entfernen einer Zecke zum Tierarzt gefahren, weil wir das Zutrauen, das sie so langsam bekam, nicht dadurch wieder zerstören wollten, in dem wir ihr in irgendeiner Form wehtaten. Wie sehr sie so etwas zurückwerfen konnte, zeigte sich an einem Lieblingsleckerchen: getrocknete Hähnchenmägen. Die liebte Holly! Jeden Abend, wenn wir von der Arbeit kamen, bekam sie eines und es war unbestritten DAS Highlight des Tages. An einem Abend hat sie sich wohl an einer kleinen Spitze dieses Leckerlis weh getan: sie quietschte, rannte unter den Tisch – als ich sehen wollte, was sie hat, lief sie panisch fort, machte sich zitternd ganz klein und war vollkommen in einer anderen Welt. Wir haben schnell gelernt, dass es ihr am besten half, wenn wir dann ganz normal mit ihr umgegangen sind. Liebevoll – aber so, als sei nichts passiert. In Watte packen verunsicherte sie noch mehr. Aber es war schon ein leichter Tanz auf dem Drahtseil: zu sanft verunsicherte sie, wäre man zu hart gewesen, hätten wir sie wieder in ihr Schneckenhaus zurückgetrieben.
Es dauerte gute drei Monate bis Holly das erste Mal von selber zu mir kam, meine Hand an stupste und gestreichelt werden wollte. In diesem Moment ging die Sonne auf!
Und von da an war ein Schalter umgelegt: Holly wurde immer mehr zu einem „normalen“ Hund. Normal, im Sinne von normal geprägt, wird sie natürlich nie sein. Es wird immer Situationen geben, die sie verunsichern. So hat sie heute noch manchmal (es wird aber immer seltener) Albträume und wimmert im Schlaf. Wenn sie dann unsere Stimmen hört, wenn wir mit beruhigenden Worten auf sie einreden – dann beruhigt sie sich wieder. Sie käme auch nicht mehr auf die Idee, die Erde aus den Blumentöpfen zu fressen oder ihr Futter in sich hineinzuschlingen, nein, sie hat inzwischen ein regelrechtes Komfortverhalten an den Tag gelegt. Mal schauen, ob es nicht noch was Besseres gibt….
Nachdem unser Nemo überraschend von einer Minute auf die nächste umfiel und über die Regenbogenbrücke ging, blühte Holly zunächst regelrecht auf. Wir waren überrascht, da sie sich immer an unserem souveränen Dackelmann orientiert hatte. Dann dachten wir, okay, wenn sie jetzt lieber Einzelhündin sein will, dann hat sie sich das nach den ersten vier Jahren ihres Lebens sicherlich verdient. Nach einer Woche änderte sich ihr Verhalten jedoch schlagartig: sie wurde regelrecht melancholisch. Beim Spaziergang hatte sie keine große Freude mehr, sie dackelte einfach neben uns her. Anderen Hunden gegenüber verhielt sie sich mit einem Mal entweder ängstlich oder aggressiv – unser Mädchen, die immer freundlich zu anderen Hunden gewesen war.
Okay, die Entscheidung fiel. Holly braucht einen Hund an ihrer Seite.
Wieder war es mehr oder weniger Zufall – und dann kam Clyde zu uns. Ein anderthalbjähriger Zwergdackelrüde, aus einem Rudel mit neun Hunden kommend, sozial gut geprägt, jung, lustig, verspielt. Es war perfekt.
Von Clyde lernte Holly das, was ihr Nemo so nicht mehr geben konnte, da er auch schon blind war, als sie zu uns kam: mit Clyde tobt sie herum, sie zanken sich, machen jeden Unsinn – und insbesondere Holly guckt sich wirklich jeden Unsinn eines jungen Hundes bei ihm ab. Was er macht, macht sie auch! So vergisst man, dass sie schon sechs Jahre alt ist, denn sie benimmt sich inzwischen wie ein übermütiger, zweijähriger Hund! Es ist wunderbar. Wenn man die zwei durch die Gegend toben sieht, Holly außer sich vor Freude, mit strahlenden, funkelnden Augen, vergisst man jede Mühe, jede Frustration, die in der ersten Zeit vielfach da waren. Es war es absolut wert! Holly ist nicht nur ein wunderschönes Dackelmädchen, sie genießt das Leben, sie begleitet uns überall hin, sie vertraut uns inzwischen. Das Band zwischen uns ist inzwischen sehr eng und schenkt einem wunderschöne Augenblicke. Zu sehen, wie sich ein gequältes Tier wie sie zu einer selbstbewussten kleinen Hundedame entwickelt hat, ist eine reine Freude und wärmt einem derart das Herz: ein unvergleichliches Gefühl. Auch wenn Holly heute noch zu viel Nähe scheut und sich am liebsten immer ein Plätzchen sucht, von dem aus sie immer weglaufen kann – inzwischen kann sie Streicheleinheiten und intensives Schmusen sogar genießen. Sie erduldet es nicht mehr, sie fordert es sogar ein! Der Hund, der einfach nur genommen hat, was man ihm gegeben hat, die nie auch nur die geringsten eigenen Wünsche geäußert hat, kann heute durchaus zum Ausdruck bringen, was sie möchte und was nicht. Manchmal sieht man nicht nur das Dackelmädchen in ihr, sondern dann wachsen kleine störrische Hörnchen: ich will meinen Willen durchsetzen! Holly ist inzwischen im Leben angekommen. Es wird vermutlich immer das ein oder andere geben, das man von ihr aufgrund ihrer Geschichte nicht erwarten kann – aber sie macht sich von Tag zu Tag und es ist eine wahre Freude, dem zusehen zu dürfen. Und zu wissen, dass man Anteil daran hatte sie in das Leben zurückzuholen.
Das bemerkenswerteste sind jedoch wirklich ihre Augen: die Augen, die am Anfang dunkel, ja fast schwarz, waren, leuchten und strahlen heute von innen. Wie kleine runde Sterne halt….